Richard Mainzer: ein Heppenheimer Jurist jüdischer Herkunft
von Karl Härter
In Heppenheim lebten Menschen jüdischen Glaubens, unter denen sich ebenfalls historisch bedeutsame Persönlichkeiten finden. Ein besonderes Beispiel ist der am 11. Mai 1907 in Heppenheim geborene Professor Dr. Richard Mainzer, der am 18. April 1964 in New York als hochgeachteter Jurist verstarb. Er entstammt der Familie Mainzer, die als Gewerbetreibende Heppenheim bereicherte und 1907 das imposante Geschäftshaus in der Friedrichstraße erbaute. Die Eltern von Richard, Berta (geb. Morgenthau) und Jakob Mainzer, ermöglichten ihren vier Kindern – neben Richard noch Hildegard (1908-2000), Wilhelm (1909-1984) und Fritz (1912-2001) – den Besuch einer höheren Schule und ein Studium. Richard besuchte die Oberrealschule in Heppenheim und die Odenwaldschule und bestand an Ostern 1925 die Reifeprüfung. Anschließend begann er ein Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Heidelberg, München, Berlin und Frankfurt/M. und legte nach sieben Semestern die erste juristische Staatsprüfung in Frankfurt ab. Medizin und Jura waren die Studienfächer, in denen Juden geringerer Ausgrenzung ausgesetzt waren und bessere Chancen hatten, und Richard gelang ein erfolgreiches Studium an den renommiertesten juristischen Fakultäten Deutschlands.
Seine Begabung als Jurist erkannte auch sein Doktor- und späterer Schwiegervater Hugo Sinzheimer, einer der bedeutendsten Juristen Deutschlands, der seit 1920 in Frankfurt lehrte, an der Weimarer Verfassung mitgearbeitet hatte, SPD Mitglied war und als „Vater des Arbeitsrechts“ gilt. Hierzu lieferte auch Richard Mainzer einen wichtigen Beitrag, der seit 1928 Sinzheimers Assistent an dessen Frankfurter Lehrstuhl war. Er verfasste eine Dissertation zu „Betrieb und Betriebszugehörigkeit als arbeitsrechtliche Grundbegriffe“, mit der er am 16. Dezember 1931 in Frankfurt promoviert wurde und die 1932 im Böhlau Verlag erschein. Gleichzeitig absolvierte Mainzer den juristischen Vorbereitungsdienst und bestand das zweite juristische Staatsexamen. Sinzheimer nahm den begabten Arbeitsrechtler in seine Frankfurter Anwaltspraxis auf, der mit der Vorbereitung eine Habilitation begann und Vorlesungen hielt.
Diese juristische Bilderbuchkarriere wurde durch die nationalsozialistische Machtergreifung im Januar 1933 radikal unterbrochen: Die Nazis erteilten Richard Mainzer umgehend Berufsverbot und entzogen ihm im Juni die Zulassung als Rechtsanwalt. Ebenso erging es Hugo Sinzheimer, der im April 1933 mit seiner Familie in Niederlande floh. Mainzer folgte ihm und heiratete am 22. Mai 1936 seine Tochter Gertrud, arbeitete in einer Bank und half mit seinen juristischen Fähigkeiten zahlreichen jüdischen Familien aus Nazi-Deutschland zu emigrieren. Auch aus diesem Grund verhafteten ihn die Nazis sofort nach der Besetzung der Niederlande im Mai 1940, verschleppten ihn nach Hamburg und verurteilten ihn zu einer Gefängnisstrafe. Dies bewahrte ihn – paradoxerweise – vor dem KZ und ermöglichte ihm, sich freizukaufen und im August 1941 nach Kuba zu emigrieren. Seine Familie musste ein noch schwereres Schicksal erleiden: die Eltern Berta und Jakob wurden 1942 und 1943 in Auschwitz ermordet; die Ehefrau Gertrud wurde mit den 1937 und 1939 geborenen Kindern Gabriela und Frank 1943/44 im Lager Westerbork interniert und im April 1944 in das KZ Bergen-Belsen deportiert. Sie überlebten und reisten im März 1946 nach Kuba, von wo aus die Familie 1949 in die USA emigrierte.
In New York musste sich Richard Mainzer eine neue Karriere als Jurist aufbauen: er arbeitete in einem Anwaltsbüro und mit anderen jüdischen Emigranten und Juristen zusammen, darunter der ehemalige Frankfurter Studienkollege Hans J. Morgenthau, der seit 1937 an hochrangigen amerikanischen Universitäten lehrte. Mainzer absolvierte erfolgreich ein weiteres Studium, nun des amerikanischen Rechts, erhielt 1955 die Zulassung als Anwalt und wurde in dem Anwaltsbüro als Partner aufgenommen. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Leistungen verlieh ihm die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt 1962 den Status eines Wissenschaftlichen Rates und ernannte ihn zum außerplanmäßigen Professor. Richard Mainzer hielt dort mehrfach Vorträge und nahm an der Gründung des Instituts für Arbeitsrechts teil. Aber auch diese Karriere wurde durch seinen frühen, durch die Spätfolgen der Haft mit bedingten Tod am 18. April 1964 unterbrochen. In seiner Geburtsstadt Heppenheim erinnern jetzt in dem ehemaligen Geschäfts- und heutigen Stadthaus Mainzer Informationsfenster an die Familie und den Juristen. Mit Richard Mainzer verfügt Heppenheim über eine historisch bedeutsame Persönlichkeit, die exemplarisch für die wissenschaftlichen Leistungen aber auch die Verfolgung deutscher Juden steht.